Für den Osttiroler Statistiker Wolfgang Trutschnig gehört Künstliche Intelligenz zum Tagesgeschäft. Dem derzeitigen Hype setzt er eine realistische Perspektive entgegen und mahnt, nicht auf den Hausverstand zu vergessen.

 

Was ist Künstliche Intelligenz?

Wolfgang Trutschnig: KI ist aus meiner Sicht im Wesentlichen maschinelles Lernen und alles drumherum. Alles, was man cleveren Algorithmen beibringen kann. KI gibt es nicht erst seit ChatGPT und Co., die Anfänge von KI reichen Jahrzehnte zurück.

 

Die Wirtschaft in Tirol ist eher kleinstrukturiert, es gibt entsprechend viele KMUs. Was kann die Künstliche Intelligenz in der praktischen wirtschaftlichen Anwendung leisten?

Es gibt grundsätzlich unzählige Anwendungen. Für mittelständische Unternehmen, besonders im produzierenden Gewerbe, ist vor allem das Thema Predictive Maintenance interessant. Dabei geht es im Wesentlichen um die frühzeitige Erkennung von Mustern und Anomalien, die oft vor Problemen oder Ausfällen auftreten. Gefragt sind auch Prognosen jeglicher Art, etwa Absatzprognosen.

 

Künstliche Intelligenz hat in diesem Zusammenhang also absolut betriebswirtschaftliche Relevanz.

Definitiv. Wir haben Projekte abgewickelt, aus denen sich signifikante Einsparungspotenziale – vor allem im Material- und Energiebereich – ergeben haben. Es ist spannend, in der Praxis zu sehen, was mit derartigen Analysen erreicht werden kann. Im produzierenden Gewerbe geht es auch darum, Fehlerquellen im Produktionsprozess zu identifizieren. Wir haben derzeit ein großes Projekt mit einem börsennotierten Konzern am Laufen, bei dem im Produktionsprozess mehrere hundert Parameter aufgezeichnet werden, deren Einfluss auf die Produktqualität es zu analysieren gilt. Das ist überhaupt nicht trivial und man kommt mit reinem Machine Learning auch nicht mehr weiter, sondern mit einer Mischung aus Statistik und Machine Learning. Das macht mir Spaß. Es gibt aber auch spannende Problemstellungen und Herausforderungen in anderen Branchen. Wir haben zuletzt beispielsweise auch einige Projekte mit touristischem Hintergrund begleitet.

 

Worum ging es dabei?

Was passiert, wenn das Wetter schlecht ist? Wohin weichen die Menschen dann aus? Welche Muster lassen sich erkennen? Man kann mit den zur Verfügung stehenden Informationen relativ viel herausfinden und dann, im zweiten Schritt, auch besser planen und optimieren. Das hat uns zumindest teilweise überrascht.

 

Wie schlägt sich KI in wirtschaftlichen Anwendungen im Vergleich zu konventionellen Methoden?

Wir verwenden bei vielen Projekten tatsächlich AI- bzw. Machine Learning-Methoden parallel zu klassischen Methoden. Das tun wir, weil die klassischen Methoden oft vergleichsweise viel weniger aufwändig sind als das Trainieren eines neuronalen Netzes… und damit viel schneller. Wenn die Güte ähnlich ist, dann bedient man sich natürlich der klassischen Methoden. Man muss nicht überall eine KI draufwerfen, wenn  es auch anders – und einfacher – geht. Momentan wird aber oft vermittelt,  dass man für alles und jedes KI verwenden muss.

 

Wie weit kommt man mit dem Hausverstand im Vergleich mit Werkzeugen aus dem Bereich Machine Learning?

Warum sollte man ein kompliziertes Modell verwenden, wenn man mit einem einfacheren dieselbe Qualität bekommt? Man kann bei derartigen Fragestellungen mit Hausverstand oft extrem weit kommen, Ideen sammeln, die relevanten Muster herausfinden und diese schließlich in entsprechenden Code übersetzen. Oft sind dabei auch sogenannte Domain Experts – also Fachleute mit jahrelanger Erfahrung – extrem hilfreich. In Vorträgen illustriere ich das gerne anhand konkreter Praxisbeispiele. Auf den Hausverstand sollte man auch in Zeiten der Künstlichen Intelligenz nicht ganz verzichten.

 

Wenn man sich nun als KMU für das Thema Künstliche Intelligenz interessiert, wie sollte man vorgehen, um die KI für sich nutzbar zu machen?

Erstens sollte man seine Daten irgendwo in digitaler Form gesammelt haben. Das muss nicht unbedingt eine Datenbank sein, die perfekt organisiert ist, was bei  KMUs oft nicht leicht ist. Zweitens braucht man eine oder mehrere konkret ausformulierte Fragestellungen, die man beantwortet haben möchte, sowie einen Ansprechpartner, der sich gut mit den Daten und betrieblichen Vorgängen auskennt. Wir arbeiten uns dann in der Regel anhand von Grafiken in die Daten ein und versuchen, auf den Punkt gebracht,  Muster zu erkennen, sei es mit modernen oder klassischen Methoden. Für Mittelständler gibt es übrigens in fast allen Bundesländern eine entsprechende Förderung. Dieses Fördergeld sollte man nicht liegenlassen.

 

Wie sehr hängt die Qualität der Datenanalyse von den zu analysierenden Daten ab?

Hier gilt tatsächlich ein Prinzip, von dem immer wieder die Rede ist: „Shit in, Shit out“. Das wird sich auch nicht ändern. Je besser die Daten sind, desto eher wird man etwas herausfinden können. Es wird allerdings nie so weit gehen, dass alles prognostiziert werden kann. Gerade unter den KMUs machen viele den Fehler, dass sie sich irgendwelche Consultants einkaufen, die ihnen das Blaue vom Himmel versprechen. Inmitten des  des heutigen KI-Hypes muss man realistisch bleiben.

 

Halten Sie die derzeitige Erregung rund um die Künstliche Intelligenz für überzogen?

Ich finde, dass die Entwicklungen insgesamt sehr gut sind und man sehr viel mit KI machen kann. Aber man darf sich nicht erwarten, dass sich jedes Problem mit KI lösen lässt. Man muss zunächst einmal die grundlegenden Prozesse verstehen, damit man nicht alles glauben muss, was die KI ausspuckt. Ich habe keine Freude damit, wenn den Unternehmen nur eine Black Box verkauft wird. In der Regel muss man diese Black Box irgendwann modifizieren, und dann geht nichts mehr, wenn man nicht versteht, was sich darin verbirgt.

 

Ist KI auch ein Hype, der ganz bewusst geschürt wird, um Produkte zu verkaufen?

Gut möglich. Man sollte allzu vollmundige Ankündigungen immer mit Vorsicht genießen. Generell braucht es mehr Bewusstsein dafür, dass vieles nicht so einfach  ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Wir brauchen uns nicht vor der KI fürchten. Terminator-Szenarien sind eindeutig fehl am Platz. Es wird also noch dauern, bis die Maschinen den Menschen ihre Position streitig machen und die Weltherrschaft übernehmen. Ich mache mir diesbezüglich überhaupt keine Sorgen!

 

Was wird der Vormarsch der KI mit der Arbeitswelt machen?

Diesbezügliche Sorgen kann ich nachvollziehen. Es wird Umwälzungen geben, die nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Wissenschaft betreffen. An der Universität wurde das Thema kontrovers diskutiert, manche Disziplinen waren da alles andere als  entspannt. Es geht bei manchen Studienrichtungen viel um Textproduktion, und die Texte von ChatGPT und Co. werden mit jeder Version besser. Irgendwann wird es in Fächern, in denen Text produziert wird, schwierig zu überprüfen sein, ob ein Mensch oder eine Maschine Urheber der Texte ist. Ich würde aber dennoch jedem empfehlen, ChatGPT und ähnliche KIs auszuprobieren und selbst Erfahrungen zu sammeln. In Bezug auf die Arbeitswelt ist noch hinzuzufügen, dass Stellen in gewissen Bereichen wegfallen, aber viele andere in neuen Bereichen entstehen werden.

 

Dafür braucht es aber neue und andere Kompetenzen als heute?

Diese Diskussionen wiederholen sich. Schon beim Aufkommen des Computers wurde darüber geredet, dass der Mensch zukünftig überflüssig werden würde. Was ist tatsächlich passiert? Die Arbeit hat sich verlagert, es sind neue Jobs und ganze neue Arbeitsfelder entstanden. Ähnliches ist auch heute beobachtbar. In den Unternehmen entstehen zahlreiche neue Jobs, zum Beispiel für Data Science oder eben KI. Da steckt eine unglaublich große Dynamik dahinter.

 

Zur Person:

Wolfgang Trutschnig hat technische Mathematik studiert und darin promoviert, war fünf Jahre in Spanien und ist schließlich nach Salzburg an die Universität gekommen. Dort sind immer mehr regionale Unternehmen mit Fragestellungen vorstellig geworden, die Data Science und Künstliche Intelligenz betreffen. Trutschnig war in der Arbeitsgruppe Statistik tätig, die heute Teil des neuen Fachbereichs AIHI (Artificial Intelligence and Human Interfaces) ist. Aus der Notwendigkeit, eine zentrale Anlaufstelle für Data Science und KI in Salzburg aufzusetzen, ist das vom Land Salzburg großzügig geförderte IDA Lab Salzburg* entstanden, das Wolfgang Trutschnig seit seiner Gründung 2020 leitet. Im IDA Lab arbeiten neben Mathematikern auch Machine Learning-Experten, Geo-Informatiker und Informatiker mit.

 

Am Donnerstag, 06.06.2024 von 17:00 bis 20:00 Uhr wird Wolfgang Trutschnig bei der Firma A. Loacker Konfekt Ges.m.b.H., Panzendorf 196, 9919 Heinfels einen spanenden Vortrag halten. Folgende Fragen werden im Rahmen des Vortrags anhand konkreter Projekte skizziert und diskutiert: Welche Chancen bieten moderne Techniken der Datenanalyse wirklich, und, vor allem, welche davon sind relevant für Unternehmen, um echten Mehrwert zu generieren?

Die Teilnehmeranzahl ist begrenzt, daher bitten wir um Anmeldung bis spätestens Montag, 03. Juni 2024 bei Johanna Schachner (E-Mail: johanna.schachner@innos.at oder telefonisch: +43 4852 63527)