Regionalität & regionaler Wirtschaftskreislauf
Nachlese zur Vordenken-Veranstaltung in der RGO-Arena
Regionaler Wirtschaftskreislauf – die Region als Marke in Landwirtschaft und Tourismus
Richard Piock, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft „Vordenken für Osttirol“ , brachte bei seinem Eröffnungsstatement auf den Punkt, welche Erwartungen in die wissenschaftliche Tagung in der RGO-Arena gesetzt werden: Tourismus und Landwirtschaft leisten einen verhältnismäßig geringen Beitrag zum Regionalprodukt in Osttirol. Dies zu ändern, erfordert eine Neupositionierung der Region – aber wie?
Schon der erste Referent Gottfried Tappeiner – aus dem Vinschgau stammende Studiendekan des Instituts für Wirtschaftstheorie, – politik und – geschichte der Uni Innsbruck und international anerkannter Experte in den Bereichen Umwelt- und Regionalökonomie – zeigte auf, dass erfolgreiche Regionalpolitik nicht von heute auf morgen realisiert werden kann. Vielmehr sei ein Zeithorizont von 15 bis 20 Jahren anzusetzen. Er erinnerte daran, dass der Begriff der Region erst in den 1980iger Jahren durch die regionalpolitischen Initiativen und Fördermaßnahmen der EU – man denke etwa an den Schutz regionaler Produkte – gegen erheblichen Widerstand der Nationalstaaten geprägt und populär wurde. Mit dem Erfolg, dass heute bei Lebensmittel „regional“ sogar den besseren Ruf genießt als „biologisch“. Politisch ist „regional“ auch weitaus sympathischer als „global“. Tappeiner hob die enorme Effizienz informeller Netzwerke – vorrangig durch die Vereine geprägt – hervor, die er als wichtiger als Kapital bewertet. Dennoch: Ein rationaler Zugang zur Regionalität ist gefordert, damit sie auch glaubwürdig Qualität und Verlässlichkeit signalisieren kann. Allerding stehen den positiven Aspekten – Senkung der Transaktionskosten durch die regionale Wertegemeinschaft, resilienzfördernde lokale Verankerung von Unternehmen und Arbeitnehmern, bürgernahe Verwaltung und Politik – auch Gefahren gegenüber, wie etwa das Beharren auf Althergebrachtem, Risikoscheu , überkommene persönliche Konflikte, aber auch eine mangelhafte Einlösung mancher Qualitätsversprechen. „Regionalität macht nur Sinn, wenn man davon auch leben kann“ – dies ist der pragmatische Zugang des Referenten zum Thema. Um mit regionalen landwirtschaftlichen Produkten erfolgreich sein zu können, bedarf es der Vielfalt des Angebotes, ein ausreichendes Mengengerüst, konstante Qualität, eine hervorragende Logistik und eines gehörigen Quantums an Geduld und Toleranz.
Wendelin Juen, Fachbereichsleiter „Spezialkulturen und Markt“ der Landwirtschaftskammer und Noch-Geschäftsführer der Agrarmarketing Tirol, befasste sich mit dem Thema „Landwirtschaftliche Qualitätsprodukte als Kern einer Marke“. Zunächst stellte er die Produktionsvoraussetzungen der Tiroler Landwirtschaft klar: 72% der mit 4000 km2 auch im österreichischen Vergleich geringen landwirtschaftlichen Nutzfläche fallen auf Almen und Bergmähder, 25% auf Wiesen, Weiden und Felder und nur 3% stehenden dem Acker-, Gemüse- und Obstbau zur Verfügung. Berücksichtigt man noch, dass es in Tirol 2200 Almen – mehr als die Hälfte davon Milchalmen – gibt und immerhin 50 Almen auch eine mengenmäßig relevante Milchverarbeitung betreiben, wird die Bedeutung der Almen und Almprodukte für den Markenbildungsprozess klar. Ein mehrjähriges Monitoring beweist, dass mit den „Qualität-Tirol“-Projekten Almleben, Almschwein und Almmilch eine markante Verbesserung der Wertschöpfung erreicht wurde. Auch mit den Markenlinien „Bio am Berg“ , „Bio Alpin“ und der bisher 180 Gastronomiebetrieben erworbene Auszeichnung „Bewusst Tirol“ konnte die Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Lebensmitteln aus Tirol gesteigert werden. Dass man durchaus auch mit lokalen Dialektbezeichnungen erfolgreiche Markenpolitik betreiben kann, zeigen laut Juen die Absatzerfolge beim „Tiroler Jahrling“, dem „Goggei“ und „Hunk“.
Eveline Bimminger, Regionalbetreuerin der Salzburger Land- und Tourismus GmbH, betreut das Projekt „Salzburger Bauernherbst“. Sie erzählte: „Vor knapp 25 Jahren haben sich die Initiatoren überlegt, wie man den Herbst touristisch beleben und gleichzeitig eine Symbiose mit Landwirtschaft, Vereinen und traditionellem Handwerk fördern könnte. Man hat sich auf das besonnen, was ohnedies im ländlichen Raum vorhanden war – gelebte Bräuche und Traditionen, Musik- und Kulturveranstaltungen, bäuerliche Produkte, bodenständige Gastronomie und altes Handwerk. Nichts musste neu erfunden werden, nichts gekünstelt – es galt, das Vorhandene auf ein hohes Niveu zu heben und professionell zu bewerben. Mittlerweile gibt es über das ganze Bundesland verteilt 75 Bauernherbst-Orte , in welchen von Ende August bis Anfang November 2000 Veranstaltungen stattfinden, getragen von 14.000 Aktiven und 350 Bauernherbst-Wirten. Von anfangs 150.000 ist die Besucherzahl auf mittlerweile 500.000 angewachsen. Speziell beworben werden Busgruppen, die für 100.000 Nächtigungen bzw. eine Steigerung der Auslastung der Beherbergungsbetriebe um 20% in der Zwischensaison sorgen“. Voraussetzung für den Erfolg sei einerseits die Einsatzbereitschaft der Menschen, die hinter dem Projekt stehen, aber auch der ökonomische Nutzen für die Beteiligten.
Geradezu als Synonym für erfolgreiche regionale Markenpolitik gilt heute der „Rote Hahn“ in Südtirol, vorgestellt von Hans J. Kienzl, Leiter der Marketingabteilung des Südtiroler Bauernbundes. „Unser Leitmotiv lautet: Wir bringen Menschen ein Stück bäuerlicher Südtiroler Lebensart näher. Ab 1999 wurde die Marke ‚Roter Hahn‘ zunächst nur für Urlaub am Bauernhof – übrigens eine Südtiroler „Erfindung“ mit einer bis 1850 zurückreichenden Tradition – verwendet. Inzwischen ist der Rote Hahn die Dachmarke für insgesamt 4 Bereiche – Qualitätsprodukte vom Bauern, Bäuerliche Schankbetriebe und Bäuerliches Handwerk sind hinzugekommen. Mit jedem der mittlerweile knapp 1800 Betriebe werden Marketingvereinbarungen getroffen, die eine Reihe von Bedingungen enthalten. Grundvoraussetzung: Die Höfe müssen aktiv und von den Eigentümern selbst bewirtschaftet sein. Zusätzlich gibt es eine Reihe von Qualitätskriterien, deren Einhaltung streng und regelmäßig überprüft wird. Die mit Abstand größte Gruppe unter dem Dach des Roten Hahnes bilden die Höfe, die Urlaub am Bauernhof anbieten. Für sie gilt die von einem bis fünf Blumen reichende Kategorisierung, wobei für die 4 und 5-Blumen-Betriebe besonders strenge Qualitätskriterien gelten und auch Mindestpreise vorgesehen sind. Sehr viel Wert wird auch auf die Aus- und Weiterbildung, die Kommunikation der Markenphilosophie und auf die Beratung der Mitglieder gelegt. Verpflichtend ist etwa eine 100-stündige Grundausbildung. Seit Einführung des Roten Hahnes wurde die Zahl der unter dieser Marke beworbenen Gästebetten um mehr als 60% gesteigert; die Nächtigungszahl wurde auf 2,7 Mio. Jahresnächtigungen verdreifacht, was einem Anteil von etwa 8 % der gesamten Nächtigungen in Südtirol entspricht. „So gut, wie der Gast die Betriebe wahrnimmt, so gut ist die Marke Roter Hahn“, meinte Kienzl abschließend.
Michael Oberhuber, Direktor des Südtiroler Versuchszentrums Laimburg, sprach über die angewandte Forschung als Basis für Produktideen und neue Produkte in der alpinen Landwirtschaft. Das Versuchszentrum Laimburg verfolgt das Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit der Südtiroler Landwirtschaft und die Qualität der landwirtschaftlichen Produkte zu steigern und damit einen wesentlichen Beitrag zur Existenzsicherung der insgesamt mehr als 20.000 landwirtschaftlichen Betriebe zu leisten. Das jüngste der vier Institute befasst sich mit Berglandwirtschaft und Lebensmitteltechnologie und unterstützt den zur Erhöhung der Wertschöpfung notwendigen Schritt von der Primärproduktion zu Verarbeitung bzw. Veredelung. Ein besonderes Augenmerk gilt den sogenannten „Nischenkulturen“ – Gemüse, Steinobst, Beerenobst und Kräuter – wobei neben den agronomischen Gegebenheiten und Bedingungen auch die betriebswirtschaftlichen Aspekte vorweg geprüft und bewertet werden. Oberhuber: „Unsere Untersuchungen haben für Nischen- und Ergänzungskulturen gerade in der Berglandwirtschaft ein hohes Potential mit interessanten Erwerbsmöglichkeiten ergeben. Ebenso ist die Veredelung der Produkte durch die Südtiroler Bauern ein Erfolgsmodell“. Für die Berglandwirtschaft gibt es mit „BRING“ einen eigenen Beratungsring, der für den Wissenstransfer von der in Laimburg betriebenen Grundlagenforschung, der angewandten Forschung und der experimentellen Entwicklungsarbeit hin zu den Bauern sicherstellt. Oberhuber erläuterte auch den Erdbeeranbau im Martelltal, mit dem Pioniere bereits in den 1970er Jahren begonnen und den sie 1989 genossenschaftlich organisiert haben. In den Spitzenzeiten wurden 800 t Erdbeeren geerntet; vor einigen Jahren gab es einen Umsatzeinbruch, die Erzeugergenossenschaft stand vor dem Aus. Mittlerweile sei, so Oberhuber, der Neustart geglückt. Die Produktpalette wurde erheblich erweitert – beispielsweise um Blumenkohl mit einer mittlerweile auf 1600 t gesteigerten Produktionsmenge. Gingen die ob ihrer besonderen Qualität geschätzten Erdbeeren früher an auswärtige Verarbeiter, so setzt man heute mit Erfolg auf eine eigene Verarbeitungsschiene. In Südtirol hat man jetzt auch den Getreideanbau mit der begleitenden Beratung durch Laimburg intensiviert und die Marke „Regiokorn“ geschaffen , die bewirken soll, dass sich wieder mehr regionales Korn im Südtiroler Brot findet.
Der nachmittägliche zweite Teil der Veranstaltung war dem Thema „Die Region als touristische Marke“ gewidmet und wurde von Gerhard Vanzi, Tourismusforscher am EURAC Forschungszentrum in Bozen und langjähriger Marketingdirektor des weltgrößten Skiverbundes Dolomiti Superski eröffnet. Schon das hinter den Vortragstitel „Osttirol als Destinationsmarke?“ gesetzte Fragezeichen ließ erkennen, dass der Referent in der Marketingstrategie Osttirols noch Luft nach oben ortet. Allerdings relativierte er die Bedeutung der Werbung: Keine Destination der Welt werde wegen ihrer perfekten Werbekampagnen weiterempfohlen, vielmehr gehe die Anziehungskraft vom Produkt bzw. dem Angebot aus. Die Bedeutung von Marken liege im Schaffen von Vertrauen; Anderssein sorge für die notwendige Differenzierung. Ebenso sei eine klare Positionierung, gestützt auf Spitzenleistungen in irgendeinem Bereich, Voraussetzung für eine erfolgreiche Destinationsmarke. Eine Marke, die suggeriere, jedem alles bieten zu können, funktioniere nicht, so Vanzi: „Wenn ich unvergleichbar bin, kann ich auch den Preis bestimmen“. Der Referent widmete sich zudem den globalen Trends – etwa Veränderungen der Gesellschaftsstruktur, Urbanisierung, Mobilität, technologischer Wandel, Individualisierung – und leitet daraus die zu erwarten Auswirkungen auf den Tourismus ab, wobei er zwischen weltweiten und regionalen bzw. alpinen Trends differenzierte. Letztere seien vom Klimawandel stark beeinflusst – positiv wie negativ. An Risken für den alpinen Tourismus nannte Vanzi die durch vermehrte Wetterkapriolen auftretenden Hochwässer, Murenabgänge und Bergstürze, den Gletscherschwund, die Ertragseinbußen im Wintertourismus durch stark steigende Beschneiungskosten bei gleichzeitig kürzeren Saisonen, Marktsättigungstendenzen und geringer werdendem Interesse der Jugend für den Skisport. Chancen bestünde hingegen durch längere Schönwetterperioden und Zunahme der Erträge in Sommertourismus und Berglandwirtschaft und der fast ganzjährig gegeben Möglichkeit zum Radfahren in den vielfältigsten und „trendigen“ Formen.
Kritisch äußerte sich Vanzi zu den Werbebotschaften der Osttirol-Werbung; „Osttirol ist anders. Authentischer, ursprünglich, echter, reduzierter“. Er vermisse die Darstellung einen Spitzenleistung, eines Alleinstellungsmerkmales, das eben unvergleichbar mit dem sein müsse, was es anderswo gibt. Er empfahl, darüber nachzudenken, wo Osttirol tatsächlich eine Nummer 1-Positionierung glaubhaft darstellen kann – aus markenstrategischen Gründen sei es am allerbesten, wenn sich die Charakteristik Osttirols als Tourismusdestination mit einem, maximal zwei Wörtern ausdrücken ließe.
Andrea Hemetsberger, Leiterin des Instituts für strategisches Management, Marketing und Tourismus an der Uni Innsbruck, begleitet mit ihrem Forschungsteam das Interreg-Projekt „Alpfoodway“ , an dem 14 Institutionen aus allen 6 Staaten des Alpenbogens beteiligt sind. Zielsetzung: Alpine Essenskultur in Wert setzen. „Für mich ist Region etwas, was Gemeinsamkeiten hat und Identität schafft. Bezogen auf die alpine Essenskultur gibt es 3 Eckpunkte: Alpiner Lebensraum, landwirtschaftliche Produkte und alpine Küche“, so die Referentin. „Mit dem grenzüberschreitenden Projekt bekennen wir uns zu gemeinsamen werteorientierten Praktiken. Dazu gehören Respekt im Umgang mit Landschaft und Lebensraum, Einfachheit, Schlichtheit, Bereitschaft zum Teilen und zum Austausch von Produkten und Wissen, regionale Nähe, aber auch Spiritualität.“ Konkret will man mit dem Projekt „Alpfoodway“ die Teilhabe aller Beteiligten am kommerziellen Erfolg, die Erhaltung von Kulturlandschaft und Traditionen, und die Sicherung zukunftsorientierter, innovativer Produkte und landwirtschaftlicher Praktiken in den alpinen Regionen unterstützen , eine übernationale Identität fördern und schließlich auch den Weg bereiten für eine Anerkennung der alpinen Essenskultur als immaterielles UNESCO-Welterbe. Beforscht und dokumentiert werden die alpine Essenstradition und erfolgreiche lokale, regionale und überregionale Initiativen. Wie schmecken die Alpen? Ein gelungenes Beispiel für die Wiederbelebung und Inwertsetzung regionaler Esskultur ist das Schweizer Val Poschiavo, wo man den Anbau von Buchweizen reaktiviert hat und daraus Nudeln – Pizzoccheri – in mittlerweile beachtlichen Mengen herstellt und dieses einfache Gericht in Restaurants im Tal zu einer geschätzten kulinarischen Besonderheit weiterentwickelt hat. Mit einer 250 Mitglieder umfassenden Pizzoccheri-Akademie, diversen Events und Festen, Büchern und sogar einem vierteljährlich erscheinenden Pizzoccheri-Magazin hat man die Pizzoccheri weitum bekannt gemacht und erzielt beachtliche touristische Erfolge, die vielen Menschen im Tal zugute kommen. Andrea Hemetsberger ist bekennender Osttirol-Fan, schätzt die Osttiroler Schlipfkrapfen und ist überzeugt, dass Lebensmittelproduktion und kulinarische Tradition hierzulande noch ein großes, entwicklungsfähiges Potential aufweisen. Mit dem Buch „So schmeckt Osttirol“ von Inge Prader und der dieser Tage vorgestellten Publikation „Culinarium Tyrolensis“ sei man auf dem richtigen Weg, nämlich auch Geschichten über die Herkunft der Produkte und über die Essenskultur zu erzählen und damit die Überführung in erfolgreiche Marktmodelle zu ermöglichen.
Stefan Herzog war Mitbegründer und Geschäftsführer der Rheinhessen Touristik GmbH; seit einigen Jahren ist er selbstständiger Tourismusberater. Sein Vortragsthema: „Regionale Angebote als Chance für Hotellerie, Gastronomie und Destinationen“. Er schilderte zunächst die Situation seiner Heimat vor 30 Jahren, die von fehlendem Bewusstsein für die Region, mangelnder Bereitschaft zur Zusammenarbeit und Imageproblemen im Weinbau durch die vorherrschende Massenproduktion gekennzeichnet war. Der damalige Weinskandal habe aber das Umdenken erzwungen. Im Weinbau habe man wieder auf Qualität und Nachhaltigkeit gesetzt, darüber hinaus sei an einer regionalen Strategie gearbeitet worden. Das habe schließlich ein Bekenntnis der Bevölkerung zu ihrer Region bewirkt. Unterstützt wurden diese Initiativen durch die Schaffung der Dachmarke Rheinhessen. „Rheinhessen beweist, dass man auch ohne spektakuläre Landschaft touristisch erfolgreich sein kann“, so Herzog. Er ortet eine Paradigmenwechsel im Verbraucherverhalten: Der Gast sei heute reiserfahren, qualitätsbewusst und kritisch, aber auch ambivalent. Als Gegenpol zu Leistungsdruck, Alltagstrott und globalen Bedrohungen sei eine Sehnsucht nach Authentizität und Regionalität zu erkennen. Sein hartes Fazit: „Ohne hohe Qualität, Authentizität und Identität landet eine Region als Ramschware auf dem globalen touristischen Wühltisch“. Beispiel dafür gäbe es genug. Bezogen auf Osttirol stellte er die provokante Frage: Fehlt trotz grandioser Landschaft das Profil? Schließlich gebe es schöne Berge und Landschaften nicht nur in Osttirol. Für die Entscheidung der Gäste, hierher zu kommen, müsse der Zusatznutzen – Qualitätsprodukte, Spezialitäten, Brauchtum, Geschichte – besser kommuniziert werden. Es brauche aber auch regionale Marktsysteme, die bewirken, dass die Wertschöpfung in der Region bleibt. „Werden Sie einzigartig und glaubwürdig durch gelebte Regionalität, beherzigen Sie die vorhandene Destinationsstrategie Osttirol 2025 und machen Sie etwas daraus“, lautete der abschließende Aufruf des Referenten.
Martin Huber vom Hotel Pacher in Neustift bei Brixen, der die vor 47 Jahren von engagierten Wirten ins Leben gerufene Initiative „Eisacktaler Kost“ bereits langjährig organisatorisch begleitet, berichtete, wie kulinarische Wochen die Vermarktung regionaler Küche und Produkte fördern können. „Wir konnten bewirken, dass mittlerweile die regionalen Gerichte ganzjährig auf den Speisekarten der Eisacktaler Gastbetriebe zu finden sind. Früher musste jede Speisekarte dem Organisationskomitee vorgelegt werden, heute sind wir nicht mehr ganz so streng, achten aber schon darauf, dass das Angebot stimmig bleibt“, so Huber. Wesentliche Unterstützung erfahren die Wirte und Produzenten dabei durch den HGV – den Südtiroler Hotel- und Gastwirteverband, der das Projektmanagement stellt.
Den Abschluss der Veranstaltung bildete ein Interview der Moderatorin Christine Brugger mit Chris Oberhammer, Chef des Restaurants „Tilia“ in Toblach, der zuletzt 3 Gault&Millau-Hauben und einen Michelin-Stern erkocht hat. „Meine Devise lautet: Ideen zu Teller bringen, gegen den Strom schwimmen. Die Produkte in meiner Küche stammen aus dem Umfeld – meine Arbeit fängt dort an, wo die des Bauern aufhört“, legt der Spitzenkoch seine Überzeugung dar. Sein Handwerk hat er in besten Restaurants in Frankreich und Belgien gelernt, was sich in der Leichtigkeit seiner sonst durchaus bodenständigen Kreationen widerspiegelt. Sein 2001 beschrittener Weg in die Selbstständigkeit war nicht leicht, das erste Restaurant – auch schon Tilia getauft – in Obervintl hatte mit zu hohen Personal- und Betriebskosten zu kämpfen. 2010 kehrte er in sein Heimatdorf Toblach zurück und gründete dort auf dem Gelände des Grandhotels das zweite Tilia – diesmal mit nur 16 Sitzplätzen, seiner Frau Anita als Kellnerin und Sommeliére und bloß je einem Helfer in Küche und Service. Die Speisekarte wechselt täglich, die Stammgäste scheuen auch weite Anreisen nicht. Ehrlich müssen sie sein, seine Gerichte. „Wir Köche müssen die naturgegebene Begrenztheit des Lebensmittelangebotes aus der Region berücksichtigen. Außerdem: Fairtraide beginnt bei Milch und Butter und nicht erst bei der Schokolade.“ Besser kann man das Vortragsthema „Was heißt ‚regional‘ für einen Koch wohl nicht auf den Punkt bringen.
Richard Piock schloss den Vortragsreigen mit den Worten: „Es ist Zeit, diese Region weiterzuentwickeln. Wir müssen uns an Werten orientieren, zusammenarbeiten und auch Geduld haben.“
Text: Werner Lamprecht
Fotograf: Brunner Images
Fotoeigentümer: Arge Vordenken für Osttirol
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