Über den Sinn der Arbeit
Auf Einladung der Innos GmbH gastierte der Arbeitsforscher, Unternehmensberater und Coach, Bestsellerautor sowie bekennende Pracademic Dr. Hans Rusinek im Rahmen des LEADER-Projekts „Willkommen in Osttirol“ in Lienz. Im Rahmen zweier Workshops sowie eines sehr gut besuchten Abendvortrags in der Firma Durst ging Rusinek der Frage nach dem Sinn in der Arbeitswelt eingehend auf den Grund.
„Wozu das alles?“, „Warum bin ich hier?“ Diese oder ähnliche Fragen haben sich vermutlich die meisten Menschen, die schon längere Zeit im Arbeitsleben stehen, schon einmal gestellt. Eloquent, gewitzt und selbstironisch gab der in Hamburg lebende und in St. Gallen forschende Bestsellerautor anhand von sechs Thesen mögliche Antworten auf die alles andere als banale Sinnfrage. Rusinek hat bei einem früheren Job bei einem großen Consulter in den USA das Themenfeld Purpose-Beratung für Unternehmen nach Deutschland mitgebracht. Dabei geht es darum, dem unternehmerischen Tun einen Sinn zu verleihen. Als Rusinek beschließt, Vater zu werden, hat er „Geld gegen Zeit getauscht“, sein „Gehalt gefünftelt und seinen Zeitwohlstand verdoppelt.“ Im Rahmen seiner Promotion setzt er sich mit dem Purpose-Thema kritisch auseinander und doziert in St. Gallen über „sinnvolle Arbeit.“ Als Pracademic (Praktiker/Akademiker) ist es sein erklärtes Ziel, die akademische Theorie wirksam mit der Praxis zu verbinden.
Warum bin ich eigentlich hier?
Diese Frage stellen wir uns nicht nur seit Jahrtausenden in der Religion und Kunst, sondern zunehmend auch in Meetings. Es gibt unterschiedliche Sinnkrisen in der Arbeit, eine davon ist die persönliche Sinnkrise, die sich durch Hinterfragen der Berufswahl als Zukunftskrise manifestiert, aber auch als Selbstverwirklichungsdruck – „es reicht heute nicht mehr, einfach nur Geld zu verdienen, sondern ich muss mit meiner Arbeit auch noch die Welt retten“ –, oder uneingelöstes Erfolgversprechen. Zudem habe Corona als „kollektive Nahtoderfahrung“ dazu geführt, dass heute vermehrt über die Arbeit nachgedacht wird. Eine weitere Ebene ist jene der veränderten Belastungen. „Unsere Arbeit wird immer körperloser, keine E-Mail ist so in der Welt wie der Tisch, den ein Tischler gebaut hat“, sagt Rusinek über das Dilemma, vor dem Wissensarbeiter – ganz im Gegensatz zu Handwerkern – stehen. Digitale Arbeit ist dadurch entgrenzt, dass sich kein physisches Produkt hervorbringt, gibt Rusinek zu bedenken. Zugleich herrscht eine Gehetztheit, in der es nur noch darum zu gehen scheint, in derselben Zeit immer mehr Dinge zu erledigen und nicht darum, diese besser zu machen. „Das enttäuscht uns von innen, weil wir das Ziel hatten, die Dinge gut und richtig zu machen und zu Ende zu bringen.“ In der Arbeitswelt gibt es das immer weniger. „Wenn jemand seinen eigenen Maßstäben nicht gerecht wird, ist das ein guter Prädiktor für eine baldige Kündigung“, weiß Rusinek. Anerkennung ist in der Arbeitswelt ungleich verteilt. „Man könnte meinen, dass die Arbeitswelt so aufgeteilt ist, dass die einen ein hohes monetäres Einkommen haben und dafür extra sinnlose Arbeit machen, während die anderen gesellschaftlich sehr sinnvolle Arbeit leisten, dafür aber sehr wenig Geld bekommen.“ Das sei ein Deal, bei dem man nur verlieren könne. „Entweder du bist arm oder du hast einen sinnlosen Job“, formuliert Rusinek bewusst pointiert, ehe er auf die Sinnkrisen auf der systemischen Ebene eingeht. Dazu zählt der Legitimitätsverlust, etwa durch die Klimakrise.„Früher war es ein sehr anerkannter Job, in einem Automobilkonzern Manager zu sein, heute fragt dich die Tochter beim Frühstück, warum du den Planeten kaputt machst?“ Zugleich werde die Arbeitswelt gespalten und politisiert.
Was ist Sinn?
„Sinnvolle Arbeit entsteht, wenn objektiver Wert auf subjektive Wertschätzung trifft“, zitiert Rusinek die US-Philosophin Susan Wolf. Es ist in der heutigen Arbeitswelt keineswegs abgemacht, dass sich diese zwei Seiten der Medaille zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügen. „Die frustrierte Pflegekraft erlebt genauso wenig sinnvolle Arbeit wie der passionierte Sudoku-Spieler“, illustriert der Arbeitsforscher die These mit einem Beispiel. Sinnvolle Arbeit ist nicht gleichzusetzen mit spaßiger Arbeit. „Sinn macht nicht immer Spaß“, sagt Rusinek, der den Begriff Leidenschaft in diesem Kontext besser findet. „Ich habe Bewerber*innen gerne gefragt, wofür sie denn zu leiden bereit sind. Die Frage, was uns bei der Sache hält, ist interessanter als danach, was uns Spaß macht.“ Mit der Inspiration verhält es sich übrigens auch anders, als man gemeinhin annehmen möchte: „Man kann Menschen gar nicht inspirieren, sondern ihnen nur den Raum geben, sich selbst zu inspirieren.“ Seinen Mitarbeiter*innen zur Inspiration ein Video von Steve Jobs zu zeigen ist vergebene Liebesmüh.
Es sei absurd, wie wenig zeitgemäß in der heutigen Arbeitswelt gearbeitet werde, meint Rusinek mit Blick dauernde Unterbrechungen und zitiert eine Studie: „In deutschen Büros werden Mitarbeiter alle vier Minuten unterbrochen. Es braucht aber neun Minuten, um zu einem fokussierten Arbeitsmodus zurückzufinden.“ Diese Rechnung geht nicht auf, derartige Unterbrechungsorgien sind ökonomisch sehr schädlich, besonders in Jobs, die hohe Unterbrechungskosten haben. „Das ist teuer, absurd, und raubt uns den Sinn“, hält Rusinek fest. Das Problem beginne bereits in der Schulzeit, weil Schüler*innen laufend unterbrochen werden. Microsoft hat festgestellt, dass Nutzer*innen 60 Prozent der Zeit für Kommunikationssoftware und nur 40 Prozent für Kreationssoftware aufwenden. Es wird zu viel kommuniziert. „Meetings sind nicht Arbeit, sondern Abstimmung über Arbeit. Arbeit ist Arbeit“, formuliert Rusinek plakativ.
Welche Arbeit?
Rusinek mahnt einen umfassenderen Arbeitsbegriff an, wie ihn etwa die Soziologin Frigga Haug eingeführt hat, die Arbeit in die vier Dimensionen Lohnarbeit, Care-Arbeit, Gesellschaftliche Arbeit und Selbst-Arbeit eingeteilt hat. Wenn wir heute von Arbeit reden, ist meist nur die Lohnarbeit gemeint. Dafür gibt es ein Gehalt, für alles andere Lob, Dank und Anerkennung. „Wir sind leider in einer Welt, wo das Verfassen einer Bullshit-E-Mail als Arbeit gilt, aber nicht, wenn man sein Kind wickelt oder tröstet.“ Der Forscher hält es für absurd, dass man sich nur auf Lohnarbeit kapriziere, obwohl diese von den anderen drei Dingen abhänge. „Das ist nicht nachhaltig.“ Die ultimative Sinnerfüllung muss also nicht unbedingt in der Lohnarbeit liegen, sondern kann auch durch andere Kategorien abgedeckt werden. „Denkt vierdimensional!“, fordert Rusinek sein Publikum auf. Dem Begriff Work-Life-Balance kann er indes überhaupt nichts abgewinnen: „Das hieße ja, dass ich nicht lebe, wenn ich arbeite, und umgekehrt. Lebt man nicht auch, wenn man arbeitet?“ Diese Trennversuche seien höchst ungesund, sagt der Pracademic. „Sucht in der Arbeitswelt nicht unbedingt die ultimative Weltrettung, sondern den Modus erfüllter Fraglosigkeit“, appelliert der Forscher, ehe er – als fatalistische Variante – ein Zitat des Schriftstellers Alain de Botton in den Raum wirft: „Vielleicht besteht der Sinn der Arbeit einfach darin, dass sie uns vom Tod ablenkt.“ Das ist freilich keine befriedigende Aussicht, zeigt aber, dass die Sinnfrage in der Arbeitswelt vielschichtig ist und mitnichten eine triviale Angelegenheit. Patentrezepte hat Rusinek nicht im Gepäck. Das wäre unseriös. Er zeigt vielmehr auf, dass der Kern der Arbeit das Soziale ist und die Sinnfrage wichtiger und gewinnbringender ist als die vermeintliche Sinnantwort. Hans Rusinek beschließt seinen Vortrag mit ein paar konkreten Tipps:
- Inspiriert Menschen, indem ihr ihnen Raum gebt sich selbst zu inspirieren!
- Hört zu, um zu verstehen welche Zumutungen deinen Mitarbeitern den Sinn rauben!
- Versteht und würdigt alle vier Felder der Arbeit!
- Macht weder Spaßversprechen noch eine Höllenvorstellung aus der Arbeit!
- Untersucht, wie hoch der Anteil an Bullshit Jobs in eurer Organisation ist!
- Sucht und bietet den Modus erfüllter Fraglosigkeit!
- Foto: INNOS GmbH/Kröll
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