Pilotprojekt Kreislaufwirtschaft –

Zukunftswege und Lösungen für Osttirol

Die Frage nach der Kreislaufwirtschaft ist nicht länger eine Frage nach dem Ob, sondern bloß noch eine Frage des Wann? Davor muss man sich aber noch die Frage stellen, wie denn eine solche Transformation der Wirtschaft vonstatten gehen könnte? In Osttirol hat man jüngst diesen Prozess gestartet, konkret mit einem vom FFG finanzierten Projekt, bei dem neben der Universität Innsbruck – Katja Hutter übernimmt die wissenschaftliche Begleitung – auch die Dienstleister in-manas und endlich., die Lebensraum Tirol Holding, das Land Tirol und die INNOS Gmbh als Partner an Bord sind. Im Rahmen des Pilotprojekts werden konkrete Lösungsansätze mit dem Fokus auf Kreislaufwirtschaft für Osttirol entwickelt. Zum Auftakt wurden im Rahmen eines breit angelegten Workshops relevante Trends und Entwicklungen zum Thema Kreislaufwirtschaft in Osttirol identifiziert und bewertet. Auf Grundlage der Ergebnisse dieses Workshops werden in der Folge konkrete Lösungsansätze durch unterschiedliche Expert*innengruppen (Studierende der Universität Innsbruck, Schüler*innen aus Osttirol und Fachexpert*innen aus einschlägigen überregionalen Einrichtungen) entwickelt. Letztlich sollen betrieblich, gesellschaftlich und institutionell umsetzungsreife Projekte in der Region entstehen.

In diesem Workshop wurde gemeinsam versucht, Antworten auf die folgenden Fragen zu geben:

  • Was sind für unsere Region, unsere Institutionen und Unternehmen die wichtigsten Innovationsbereiche der Zukunft?
  • Welche Technologien und Innovationen gibt es in diesen Bereichen bereits heute?
  • In welchen Bereichen haben wir ausreichend Kompetenzen, und in welchen müssen wir diese ausbauen?
  • Wie können wir in der Region relevante Innovationen schnell entwickeln und nutzen?

Als Werkzeug kam der Innovations- und Strategiehub INNO-VERSE bzw. dessen Trendradar, entwickelt von in-manas, zum Einsatz. Anna Köhl, Co-Gründerin von endlich., leitete gemeinsam mit endlich.-Kollegen Simon Tumler und Alexander Ettinger von in-manas den Workshop. „Zum einen sollen für Osttirol konkrete, finanzierbare Lösungen entwickelt werden, zum anderen soll das Projekt dabei helfen, diesen softwaregestützten Innovationsprozess zu evaluieren und weiterzuentwickeln, damit er sich auf andere Regionen übertragen lässt“, schickte Simon Tumler voraus. In Osttirol wird also Pionierarbeit geleistet. Und aller Anfang ist bekanntlich schwer. So gestaltete sich die Trendbewertung durchaus interessant, die Einschätzung der Teilnehmer*innen deckte sich in manchen Bereichen, in anderen lag man dagegen weiter auseinander. Die Eingrenzung der Fokusthemen ging dementsprechend mit regen Diskussionen einher, die konstruktiv und fruchtbar waren, aber zugleich gezeigt haben, dass es unterschiedliche Standpunkte und Betrachtungsweisen gibt, was die Zukunftsthemen im Bezirk betrifft. Die sich im Zuge des Prozesses konkreter herausdestillierenden Ideen und Projekte werden zu einem späteren Zeitpunkt einer breiten Öffentlichkeit zur Diskussion vorgestellt. Anna Köhl führte zu Beginn kurz theoretisch in die Kreislaufwirtschaft ein und gab zu bedenken, dass die Wirtschaft zweifellos die Natur beinflusse, man sich nun aber verstärkt überlegen müsse, wie die Situation andersherum gelagert ist. Wie beeinflusst die Natur die Wirtschaft? Frank Elderson, Executive Board Member der EZB in Frankfurt, hat dazu unlängst eine eindeutige Aussage getroffen, die nicht länger ignoriert werden kann: „Destroy nature and you destroy the economy“. Drei Viertel aller europäischen Unternehmen sind von einer intakten Natur abhängig und nach Prognosen wird sich die Materialnachfrage in den nächsten 20 Jahren verdreifachen, und das bei sinkendem Materialangebot. Das lineare Wirtschaftssystem, geprägt von den Prinzipien „Take – Make – Waste“, ist nicht länger zukunftsfähig. Es geht also ums Ganze, an der Kreislaufwirtschaft, die die wirtschaftliche Aktivität vom Ressourcenverbrauch entkoppelt, führt kein Weg vorbei. Unendlicher Ressourcenverbrauch ist in einer endlichen Welt unmöglich, unendliche Innovation dagegen nicht. Köhl verwies auf das mathematische Prinzip der Faltung, das unendliche Innovation in der endlichen Welt durch Wachstum in die Diversität ermöglicht. Alexander Ettinger referierte die Bedeutung der sogenannten Mega- und Makrotrends, mit denen man sich heute intensiv beschäftigen müsse, um die richtigen Lösungen für morgen schaffen zu können. „Momentan gibt es rund 18 Megatrends, die von der Forschung identifiziert wurden“, sagt Ettinger. Die Kreislaufwirtschaft ist einer davon, der für Osttirol besonders relevant sein kann, neben den Themen Energie, Nachhaltigkeit & Klimawandel, Mobilität und Regionalität. Die Trendbewertung der Teilnehmer*innen erfolgte entlang dieser Megatrends. René Ladstätter, Geschäftsführer bei Schindel und Holz, mahnte eine Begriffsnachschärfung an und bemerkte, dass „das Thema Kreislaufwirtschaft hier sehr stark ressourcenorientiert betrachtet wird, obwohl es eigentlich viel breiter ist und es auch eine starke soziale Komponente gibt.“ Kreislaufwirtschaft wird man in diesem Prozess möglichst breit zu denken haben, mit all ihren Implikationen über alle betroffenen Bereiche hinweg. Die Fixierung auf den technologischen Fortschritt allein wird nicht weiterhelfen. Oskar Januschke, Abteilungsleiter Standortentwicklung, Wirtschaft und Marketing in der Stadt Lienz, warb für einen stärkeren Fokus auf einen weiteren großen Trend: „Es gibt nun einmal den Trend der Urbanisierung, ob wir ihn als Region mögen oder nicht. Rund 70 Prozent der Bevölkerung wollen in städtischen Räumen leben. Wenn wir das nicht ausreichend berücksichtigen, verlieben wir uns in eine Form von Regionalität, die sich in der Praxis nicht spielen wird.“ Gerade in einer ländlich geprägten Region wie Osttirol darf dieser Aspekt nicht aus den Augen verloren werden. Lukas Rossbacher, Geschäftsführer der Rossbacher HandelsGmbH, gab in Bezug auf das Verhältnis zwischen Kreislauf- und Abfallwirtschaft folgendes zu bedenken: „Uns muss bewusst sein, dass wir uns, sobald wir über Abfälle reden, im Abfallwirtschaftsgesetz (AWG) bewegen. Dieses gibt uns massive Limitationen vor. Sobald man die eigenen Abfälle an andere Unternehmen weitergibt oder gemeinsam verwertet, gilt es uneingeschränkt und mit massiven Auflagen. So schön das Prinzip der Zirkulation auch ist, sobald eine Person einer anderen Abfall übergibt, gibt es strenge rechtliche Auflagen, die mit jeder Gesetzesnovelle noch härter werden. Das muss man einfach so sagen.“ Generell nahmen in den Diskussionsrunden im Nachgang der Trendbewertung die rechtlichen Rahmenbedingungen breiten Raum ein. Das zeigt, dass es, damit eine Kreislaufwirtschaft gelingen kann, erheblichen legislativen Änderungsbedarf gibt. Artikuliert können diese Grenzen des rechtlich Möglichen von den Institutionen und Unternehmen in einem Prozess wie dem gegenständlichen, handeln muss aber die Politik. Sie muss die Rahmenbedingungen schaffen, damit Kreislaufwirtschaft betrieben werden kann. „Es wird auch ein wesentlicher Teil dieses Projekts sein, Grenzen aufzuzeigen“, sagt Anna Köhl. Gerade in der Ideenfindungsphase sind aber Offenheit und – wie es die Philosophin Hannah Arendt einmal in anderem Zusammenhang genannt hat – „Denken ohne Geländer“ notwendig. Die Wortmeldungen der Teilnehmer*innen nach dem Trendradar waren kritisch, aber konstruktiv, und haben so manches Thema – allen voran die Mobilität und die Bedeutung regionaler Nahrungsmittelkreisläufe  – noch mit auf die Agenda gesetzt. INNOS-Geschäftsführer Reinhard Lobenwein hob auch die demografische Herausforderung, der sich der Bezirk gegenübersieht, heraus: „Uns fehlen im Vergleich mit Innsbruck fünf Prozent an erwerbsfähiger Bevölkerung, die wir dafür an Pensionisten mehr haben. Wenn wir da nicht gegensteuern, bekommen wir ein massives Schrumpfungsproblem, das sich auf sämtliche Bereiche ausweitet.“ Daraus ließe sich pointiert ableiten: Osttirol darf nicht Florida werden. Michael Unterweger, Geschäftsführer der Ersten Tiroler Latschenöl Brennerei Brüder Unterweger, verwies auf die Bedeutung von Nachhaltigkeit nicht nur als handlungsleitendem Prinzip, sondern auch auf das Vermarktungspotenzial: „Ich sehe das nicht nur als Vision, sondern auch als Vermarktungsinstrument.“ Im Zuge der Debatte wurden Unschärfen nachgeschliffen, Unklarheiten begrifflicher und inhaltlicher Natur ausgeräumt. Die Fokusfelder für die weitere Diskussion und in Folge die Erarbeitung konkreter Lösungen sind abgesteckt. Jetzt heißt es miteinander weiterdenken, regionale Wertschöpfungs- und Stoffkreisläufe analysieren und ausbauen. Das Projekt in der Pilotregion Osttirol geht inzwischen in seine nächste Phase. Ab September werden von unterschiedlichen Teams, bestehend aus Menschen aus der Region und Expert*innen, Studierenden und Schüler*innen, Ideen generiert und konkrete Lösungen erarbeitet. Man darf gespannt sein.

 

Für alle Interessierten hier der Link zur Aufzeichnung des Vortrags: Pilotprojekt zur Förderung der Kreislaufwirtschaft in Osttirol – YouTube